Erzählungen

Donnerstag, 22. Januar 2009

Die Sonne über dem Kilimandscharo

Die Sonne über dem Kilimandscharo


Einige verunstaltete Schirmakazien , mit von Elefantenrücken blankgescheuerten Stämmen und von gierigen Rüsseln abgeweideten Astkronen , hatten sich in Erwartung des nächsten Ansturms der Tiere zusammengedrängt. Von seinem Standort sahen sie aus wie eine Gruppe verschüchterter, verkrüppelter Wesen mit ausladenden Hüten, die im Savannenwind zitterten.
Der Amboseli-See schimmerte einen Lidschlag weiter westlich mit noch unscharfen Umrissen smaragdgrün durch den Morgennebel. Schwarze Basalthügel ragten überall dort aus der Ebene, wo der Kilimandscharo in früheren Zeiten sein Magma hingespuckt hatte. „Götterkotze“ nannten manche Massai die spitzen Kegel, die wie Inseln in einem graubraunen Meer schimmerten. Dieses wich nur unter Protestgeschrei allmählich den Strahlen der Morgensonne, das zuerst wie hornissengepeinigte Zebras und dann nach schläfrigen Kronenkranichen klang, die sich vor dem hungrigen Gebrüll eines Löwen aber sofort zurückzogen. Schließlich gab es den Blick auf die versteppte, narbige Trockensavanne des Amboseli frei. Nur an wenigen Stellen waren krüppelige Bäume auf das staubige Gras getupft, und auch das verschilfte Wasser des Sees, auf dem Schaumkronen tanzten hatte bei normalem Tageslicht einen schmutzigen braunen Farbton angenommen.
Die menschlichen Bewohner der Ebene machten sich allmählich bemerkbar. Um diese Uhrzeit noch spärliche weiße und graue Kleinbusse mit geöffnetem Verdeck begannen auf die Jagd zu gehen. Sie wirkten mitsamt ihrer Ladung aus gestikulierenden und schnatternden Musungus wie ein Bestandteil der Tierwelt. Diese Tiere jagten alles, was sich im Park bewegte. Hatten sie einen Elefanten, eine Giraffe oder ein Gnu gestellt, stießen sie einen Siegesschrei aus, der sich wie eine Mischung aus halbunterdrücktem Lachen und dem Klicken von Fotoapparaten anhörte. Hatten sie ihren Hunger gestillt, begaben sie sich auf die Suche nach ihrem nächsten Opfer. Wie eine Elefantenherde markierten sie dabei ihren Weg mit Ausscheidungen, bestehend aus Cola- Dosen, Filmschächtelchen und Kaugummi- Papieren.
In der Tradition der Massai hatte er bis jetzt Blickkontakt mit der Schneehaube des Kilimandscharo vermieden. Manche waren immer noch überzeugt, das Ngai sich Menschen holte, welche die Augen nicht von seinem Sitz abwandten. Oft suchten sich Alte oder Kranke, die das Gefühl hatten, ihren Familien zur Last zu fallen, sogar bewusst einen Ort mit guter Sicht auf den Gipfel. Meist verschwanden sie dann einfach. Sie wurden von Ngai gerufen, und setzten einen Fuß vor den anderen, bis sich ihre Spuren im Geröll oberhalb der Baumgrenze verloren. Manche hatten sich vielleicht in den Krater gestürzt, andere waren nicht so weit gekommen, und hatten offensichtlich Tieren als Nahrung gedient. Sie erschreckten jetzt mit ihren säuberlich abgenagten Schädelknochen, die manchmal unter Wanderstiefeln barsten, Touristen. Jedenfalls war niemand jemals wieder herabgestiegen.
Warum Ngai taub gegenüber dem sonoren Rattern der Planierraupen war , die den Grund für Lodges bereiteten , wo livrierte Kellner südafrikanischen Chardonnay und Austern servierten und man das Wasser für Swimming- Pools voller kreischender weißer Musungu- Kinder aus dem Amboseli-See abpumpte und chlorierte , entzog sich seiner Vorstellungskraft.
Es war auch noch keines der unzähligen Kleinflugzeuge, die im Tiefflug über den Krater donnerten in einer plötzlich auftauchenden Nebelwand aufgelöst oder von einem Blitz in stiebende Ascheflocken verwandelt worden.
Manche Alte meinten, Ngai sei selbst mit den Jahren schwach und zitterig geworden, nur das dies bei Göttern eben länger dauere. Und vielleicht erging es daher den Massai ähnlich wie den farbenprächtigen Urlaubsfotos, die Touristen von ihnen schossen. Diese vergilbten zwischen Buchdeckeln und in Alben und wurden mit der Zeit matt und fleckig. Tanzende Krieger in leuchtenden roten und blauen Röcken, mit Kupferarmreifen, bis auf die Schultern gedehnten Ohrläppchen und behängt mit termitenzerfressenen Löwenfellen von vor Generationen erlegten Tieren waren nur noch immer unschärfere Erinnerungen an andere Zeiten.
An Zeiten, als die Massai noch Rinderherden besessen hatten, die keine von Musungus gezogenen Straßen queren und an keinen Zäunen haltmachen mussten.
An Zeiten, als die knotigen und immer wieder neu eingeritzten Linien auf der Haut der Jäger noch für jeden klar ihre Geschichte erzählten , und niemand Musungus dazu brauchte, die aus einem Ort namens Hollywood in Amerika kamen.
An Zeiten, bevor ein deutscher Missionar im Jahr 1856 einen Massai nach dem Namen des Berges fragte und dieser antwortete : „ Kili mandscharo ?“, was in seiner Sprache soviel bedeutet wie „ Ich verstehe nicht.“
Vielleicht sterben Götter, wenn ihr Name in Vergessenheit gerät. Sie vereinsamen und sterben langsam, und suchen nur manchmal unsere Träume heim.
Lächelnde junge Mädchen würden bald beginnen, den Musungus vielarmige geschnitzte Figuren aus falschem Ebenholz zu verkaufen. Unter den Röcken würden sie Jeans tragen. Gegen die morgendliche Kühle.
Die Sonne stand jetzt genau über der Schneehaube des Berges und ließ seine Augen tränen. Es war Zeit zu gehen.


Andreas Armann

Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln ?

„Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“

An einem so trivialen und gesichtslosen Ort wie einer Einkaufspassage meiner Heimatstadt T. zur Vorweihnachtszeit kann nur eine wahre Geschichte beginnen. Es gehört etwa die Kreativität einer Milchglasscheibe dazu, Bilder von hektischen Einkäufen an einem Adventssamstag zu spiegeln, es sind dazu nicht viele Worte nötig. Zwischen lamettabekränzten Kümmerbäumchen, rotnasigen Nikoläusen mit nikotinverfärbten Bärten und hunderten Paketen verschiedener Größen , die manchmal einen Unterbau aus zwei Beinen besitzen und sich von diesen in verschiedene Richtungen fortbewegen lassen, hätte ich keine Geschichte gesucht.
Wasser tropft glucksend von der Decke und rinnt mir in den Kragen. Jemand hat den modrigen leerstehenden Kelleraum vor Jahrhunderten in die Eingeweide der Stadt gefräst . Jetzt rutsche ich auf dem glitschigen Untergrund herum und versuche mich zu erinnern, wie ich hierher geraten bin. Meine einzige Lichtquelle ist das erleuchtete Zifferblatt meiner Uhr, das ein grünliches Stempelzeichen auf schimmelfleckigen Wänden hinterlässt. Draußen stehen Christbäume in den Fenstern und schiefe Kinderstimmen plärren „Stille Nacht“. Ich habe indes noch kein Interesse daran, mein lichtloses Refugium zu verlassen.
„Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“ Der Spruch löste sich aus einer Schaufensterauslage, sprang mich an und verbiss sich in eine Synapse meines Gehirnes. Dabei bildete er bereits nach kurzer Zeit ein Spinnenetz aus endlosen mantrahaften Wiederholungen, die mir bald befremdete Blicke eintrugen. Ich besitze einen Magistertitel, etwas Geld , und eine kleine Bibliothek samt eines Weinkellers. Ob ich auch eine Uhr dazu zählen durfte , die im Dunklen leuchtet, ließ mir von diesem Moment an keine Ruhe mehr. Unglücklicherweise hatte mich mein Weg mitten am Tage in das Einkaufszentrum geführt, so das die Gelegenheit zu einer Probe noch auf sich warten lassen würde. Ich betrat also ein Cafe , von dem ich die Auslage des Uhrengeschäftes im Blick hatte, und rief mir immer wieder den Grund für meine Anwesenheit an diesem Ort in Erinnerung. „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“ Von einem Foto grüßte ein braungebrannter Mann mit Pilotenmütze und Sonnenbrille, der seinen Doppeldecker auf einer Wanderdüne gelandet hatte. Der Text besagte etwa folgendes, aber genau erinnere ich mich nicht mehr : „ Ursprünglich einmal entwickelt für die Anforderungen von Kampfpiloten der US- amerikanischen Luftwaffe vereinen unsere Modelle edle Optik mit aufwendig gestalteter Präzisionstechnik.“ Der Text ging weiter und listete eine Reihe von Leistungen der Uhr auf, die als Frage und Antwort Spiel gestaltet waren. Alles von Bedeutung schrumpfte jedoch in einem einzigen Satz zusammen. „Leuchtet ihre Uhr im Dunklen ?“
Ich war nicht im Stande, etwas zu trinken oder zu essen, und wanderte mit den Augen vom Zifferblatt meiner Armbanduhr zu der langsam erkaltenden Tasse Kaffee vor mir , deren Inhalt ich sporadisch in den Blumenkübel hinter meinem Rücken kippte.
Eine schwarzhaarige eidechsenäugige Frau am Tresen rauchte parfümierte Zigaretten aus einem silbernen Mundstück und fixierte mich stundenlang über den Rand ihres Mobiltelefons hinweg. Als ich schließlich reagierte , von meinem Fensterplatz an die Bar wechselte und ihr die Frage stellte, die mich mehr als jede andere beschäftigte, ( „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln ?“) geschah jedoch etwas merkwürdiges.
Ihre kajalumrundeten dunklen Augen verzerrten sich , und eines knallte im nächsten Moment unangenehm gegen meine Stirn. Es war ein Glasauge, das sie herausgenommen und nach mir geworfen hatte. Mit einer blaurot schillernden Beule zwischen meinen Augenbrauen zahlte ich und beschloss die Antwort auf meine Frage anderswo zu suchen.
Die frühe Dämmerung eines diesigen Dezembertages brach langsam herein und meine in den Hosentaschen zusammengeballten Hände begannen vor Aufregung zu zittern.
Ich ließ mich durch die Straßen treiben ohne meiner Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken. Einige Male nahm ich quietschende Autoreifen und Flüche in meiner Nähe wahr. Herbeieilende hilfsbereite Passanten wussten auf meine Frage ( „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln ?“) keine Antwort, und sperrten lediglich den Mund zu einem Fragezeichen auf.
Ich aber war ohnehin bereits weitergezogen, da mir auf meinem Zifferblatt lediglich Scheinwerfer und leuchtende Christbaumkugeln zuzwinkerten, aber nichts von innen heraus glomm.
Es war eine mondhelle Nacht und ungewöhnlich klar für die Jahreszeit. Der Erdtrabant grinste ohne es mit einem einzigen Wölkchen aufnehmen zu müssen, höhnisch auf mich herab und schien zusammen mit meiner wachsenden Verzweiflung kugeliger und heller zu werden.
Eine moosbewachsene Kelleröffnung tat sich neben mir auf. Beißender Hundeurin attackierte meine Nase und wagte zusammen mit einem Verbotsschild den hoffnungslosen Versuch, mich davon abzuhalten, in die Dunkelheit abzusteigen. Mein Atem beschleunigte sich und bildete flauschige stiebende Wölkchen , die meinen Weg markierten , bis auch sie vor dem lichtlosen Kelleraum am Ende einer Wendeltreppe zurückblieben.
Und meine Uhr leuchtete ! Sie schimmerte wie ein graugrüner magischer Kreis, und erfüllte mich mit einem Gefühl unsagbarer Erleichterung.
Nicht sofort erkannte ich, das ich den Sternenhimmel in der hohlen Hand hielt. Dann sah ich auf dem Zifferblatt den Mond, den Mars und die Venus , vom Andromeda – Nebel umwabert. Großer Bär und Wagen, Sirius und Polarstern fanden alle Platz unter dem matten Uhrenglas.
Als ich mich wieder aus dem Keller nach draußen tastete hatte ich keine Ahnung wie viel Zeit vergangen sein mochte. Jedenfalls hatte der Sonntag bereits begonnen und ich machte mich wie ein übernächtigter betrunkener Zecher auf den Heimweg. Vom Winter skelettierte Alleebäume standen mir stumm Spalier, der Himmel hatte die Farbe von abgestandenem Wasser, und ich begegnete keiner Menschenseele.
Seitdem sitze ich jede Nacht in meinem Keller und folge den Bewegungen der Himmelskörper in meiner Hand. Ich verwahrlose zusehends, esse und trinke kaum noch . Meine Wangen sind eingefallen, und meine Augen rot und entzündet. Nur gelegentlich ziehe ich meine Uhr auf, damit mein Herz nicht stehen bleibt.


Andreas Armann

-Redselig-

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