Die Sonne über dem Kilimandscharo

Die Sonne über dem Kilimandscharo


Einige verunstaltete Schirmakazien , mit von Elefantenrücken blankgescheuerten Stämmen und von gierigen Rüsseln abgeweideten Astkronen , hatten sich in Erwartung des nächsten Ansturms der Tiere zusammengedrängt. Von seinem Standort sahen sie aus wie eine Gruppe verschüchterter, verkrüppelter Wesen mit ausladenden Hüten, die im Savannenwind zitterten.
Der Amboseli-See schimmerte einen Lidschlag weiter westlich mit noch unscharfen Umrissen smaragdgrün durch den Morgennebel. Schwarze Basalthügel ragten überall dort aus der Ebene, wo der Kilimandscharo in früheren Zeiten sein Magma hingespuckt hatte. „Götterkotze“ nannten manche Massai die spitzen Kegel, die wie Inseln in einem graubraunen Meer schimmerten. Dieses wich nur unter Protestgeschrei allmählich den Strahlen der Morgensonne, das zuerst wie hornissengepeinigte Zebras und dann nach schläfrigen Kronenkranichen klang, die sich vor dem hungrigen Gebrüll eines Löwen aber sofort zurückzogen. Schließlich gab es den Blick auf die versteppte, narbige Trockensavanne des Amboseli frei. Nur an wenigen Stellen waren krüppelige Bäume auf das staubige Gras getupft, und auch das verschilfte Wasser des Sees, auf dem Schaumkronen tanzten hatte bei normalem Tageslicht einen schmutzigen braunen Farbton angenommen.
Die menschlichen Bewohner der Ebene machten sich allmählich bemerkbar. Um diese Uhrzeit noch spärliche weiße und graue Kleinbusse mit geöffnetem Verdeck begannen auf die Jagd zu gehen. Sie wirkten mitsamt ihrer Ladung aus gestikulierenden und schnatternden Musungus wie ein Bestandteil der Tierwelt. Diese Tiere jagten alles, was sich im Park bewegte. Hatten sie einen Elefanten, eine Giraffe oder ein Gnu gestellt, stießen sie einen Siegesschrei aus, der sich wie eine Mischung aus halbunterdrücktem Lachen und dem Klicken von Fotoapparaten anhörte. Hatten sie ihren Hunger gestillt, begaben sie sich auf die Suche nach ihrem nächsten Opfer. Wie eine Elefantenherde markierten sie dabei ihren Weg mit Ausscheidungen, bestehend aus Cola- Dosen, Filmschächtelchen und Kaugummi- Papieren.
In der Tradition der Massai hatte er bis jetzt Blickkontakt mit der Schneehaube des Kilimandscharo vermieden. Manche waren immer noch überzeugt, das Ngai sich Menschen holte, welche die Augen nicht von seinem Sitz abwandten. Oft suchten sich Alte oder Kranke, die das Gefühl hatten, ihren Familien zur Last zu fallen, sogar bewusst einen Ort mit guter Sicht auf den Gipfel. Meist verschwanden sie dann einfach. Sie wurden von Ngai gerufen, und setzten einen Fuß vor den anderen, bis sich ihre Spuren im Geröll oberhalb der Baumgrenze verloren. Manche hatten sich vielleicht in den Krater gestürzt, andere waren nicht so weit gekommen, und hatten offensichtlich Tieren als Nahrung gedient. Sie erschreckten jetzt mit ihren säuberlich abgenagten Schädelknochen, die manchmal unter Wanderstiefeln barsten, Touristen. Jedenfalls war niemand jemals wieder herabgestiegen.
Warum Ngai taub gegenüber dem sonoren Rattern der Planierraupen war , die den Grund für Lodges bereiteten , wo livrierte Kellner südafrikanischen Chardonnay und Austern servierten und man das Wasser für Swimming- Pools voller kreischender weißer Musungu- Kinder aus dem Amboseli-See abpumpte und chlorierte , entzog sich seiner Vorstellungskraft.
Es war auch noch keines der unzähligen Kleinflugzeuge, die im Tiefflug über den Krater donnerten in einer plötzlich auftauchenden Nebelwand aufgelöst oder von einem Blitz in stiebende Ascheflocken verwandelt worden.
Manche Alte meinten, Ngai sei selbst mit den Jahren schwach und zitterig geworden, nur das dies bei Göttern eben länger dauere. Und vielleicht erging es daher den Massai ähnlich wie den farbenprächtigen Urlaubsfotos, die Touristen von ihnen schossen. Diese vergilbten zwischen Buchdeckeln und in Alben und wurden mit der Zeit matt und fleckig. Tanzende Krieger in leuchtenden roten und blauen Röcken, mit Kupferarmreifen, bis auf die Schultern gedehnten Ohrläppchen und behängt mit termitenzerfressenen Löwenfellen von vor Generationen erlegten Tieren waren nur noch immer unschärfere Erinnerungen an andere Zeiten.
An Zeiten, als die Massai noch Rinderherden besessen hatten, die keine von Musungus gezogenen Straßen queren und an keinen Zäunen haltmachen mussten.
An Zeiten, als die knotigen und immer wieder neu eingeritzten Linien auf der Haut der Jäger noch für jeden klar ihre Geschichte erzählten , und niemand Musungus dazu brauchte, die aus einem Ort namens Hollywood in Amerika kamen.
An Zeiten, bevor ein deutscher Missionar im Jahr 1856 einen Massai nach dem Namen des Berges fragte und dieser antwortete : „ Kili mandscharo ?“, was in seiner Sprache soviel bedeutet wie „ Ich verstehe nicht.“
Vielleicht sterben Götter, wenn ihr Name in Vergessenheit gerät. Sie vereinsamen und sterben langsam, und suchen nur manchmal unsere Träume heim.
Lächelnde junge Mädchen würden bald beginnen, den Musungus vielarmige geschnitzte Figuren aus falschem Ebenholz zu verkaufen. Unter den Röcken würden sie Jeans tragen. Gegen die morgendliche Kühle.
Die Sonne stand jetzt genau über der Schneehaube des Berges und ließ seine Augen tränen. Es war Zeit zu gehen.


Andreas Armann

-Redselig-

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