Schlechte Zeiten für Optimisten

Schlechte Zeiten für Optimisten in Afrika

Kenias Krise nach den Präsidentenwahlen


Das Publikum könnte aus einer Bar irgendwo zwischen Nairobi und Kapstadt stammen, das Bistro „Le mambo“ befindet sich aber in Triers Karl-Marx Strasse. Der höhlenartige Raum ist in knalligen bunten Farben mit afrikanischen Motiven ausgemalt und aus den Boxen dröhnt ein stolpernder Reggae- Rhythmus. Auf einem flimmernden Fernseher läuft ohne Ton CNN. Emmanuel Otieno sieht von Zeit zu Zeit hin und liest die Bildunterschriften. „Wir Kenianer im Ausland leiden natürlich mit, wenn unser Land vor die Hunde geht. Wir spielen hier Billard, weil wir nichts tun können. Außer mit unseren Familien zu telefonieren und zu beten.“ Auf Verständnis oder Interesse der Deutschen zählt Emmanuel nicht. „ Für euch hat das soviel Bedeutung wie die letzten Eskapaden von Britney Spears,“ meint er und versenkt die schwarze Kugel. Aber niemand achtet darauf. CNN hat wieder einen Live- Bericht aus Nairobi angekündigt.

Dr. Johannes-Michael Nebe interessiert sich nicht für Britney Spears. Die Nachrichten aus Kenia verfolgt der Geograf an der Universität Trier mit großer persönlicher Betroffenheit. „Wahlbetrug war zu erwarten, aber nicht diese Dreistigkeit und Brutalität“, erklärt er, und meint das Vorgehen der Staatsorgane gegen demonstrierende Oppositionsanhänger. Nebe betreut seit über zehn Jahren Projekte der Universität Trier zum Wassermanagement in Kibera und Mathare, Slums von Nairobi. Europa und Amerika haben in Kenia lange Zeit einen „Stabilitätsanker“ in der Region gesehen-„ zu Unrecht. Kenia hat den gleichen Geburtsfehler wie viele afrikanische Staaten. Die Bevölkerung, aber nicht der Staat ist multi -ethnisch. Die Luo und andere, die jetzt demonstrieren, wurden seit der Unabhängigkeit immer nur benachteiligt. Dies führt alle fünf Jahre bei Wahlen zu Gewalt.“

Aufstand der Habenichtse

Gewalt auf den Strassen Nairobis gehört für Alex Kanyi zum Alltag. Der Musiker, Journalist und Menschenrechtsaktivist hat auch die Wahlen von 1997 und 2002 erlebt. Zur jetzigen ist er nicht mehr gegangen: „Damals hat die Zivilgesellschaft noch Grenzen aufgezeigt. Sowohl beim Wahlbetrug als auch bei den Ausschreitungen. Heute haben die Leute von damals entweder resigniert oder die Seiten gewechselt,“ berichtet er für die (nu) aus der kenianischen Hauptstadt. “ Wir erleben keinen ethnischen Konflikt, sondern einen Aufstand der Habenichtse.“
Professor Dr. Peter Molt, Politikwissenschaftler und Afrikaexperte an der Universität Trier, hat dafür eine Erklärung: „ Die führenden Unabhängigkeitskämpfer waren Kikuyu und haben sich mit der politischen Macht auch die Güter der britischen Kolonialherren angeeignet. Darauf basiert der Wohlstand, den sie heute verteidigen. Und der Vater des Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga war damals schon Oppositionsführer. Der Konflikt hat also eine soziale, eine wirtschaftliche und eine ethnische Dimension.“ Dass ein Wahlsieg Odingas , der in jungen Jahren auch einmal Fußballspieler in der DDR war, Kenias Gesellschaft zum Besseren verändert hätte, bezweifelt Molt : „ In Afrika ist es leicht, zum Pessimisten zu werden.“
Annika Busch – Geeretsma erschien ein Taxifahrer in Nairobi noch kurz vor den Wahlen alles andere als pessimistisch gestimmt: „Er sagte, dass er trotz Korruption und aller Probleme den Amtsinhaber Kibaki wählen würde. Weil er zum ersten Mal ohne Angst über Politik reden konnte.“ Die Geografiestudentin an der Universität Trier beobachtete eine regelrechte Wahleuphorie: „ Schon Monate vorher waren die Wahlen DAS Thema sowohl in den Zeitungen als auch in Gesprächen. Deshalb war die Enttäuschung über den Betrug umso heftiger.“ Annika Busch- Geeretsma absolvierte vor Weihnachten ein Praktikum bei der UNO in Nairobi, das jetzt unterbrochen ist: „ Das „Habitat“ Programm der UNO versucht die Wohnsituation der Menschen in den Slums zu verbessern. Es ist unmöglich, jemanden aus der Armut zu holen, der keine Postadresse hat. Ohne die gibt es kein Bankkonto. Von einem Wasseranschluss und Strom gar nicht zu reden.“
Für Christian Schlump und Maike Puhe läuft das Praktikum in Nairobi weiter. Aus Sicherheitsgründen mussten die Studenten aber bereits umziehen. : „ Unsere Bewegungsfreiheit ist jetzt arg eingeschränkt, und die Slums müssen wir unbedingt vermeiden“, berichten die Trierer Geografiestudenten. Auch wenn die Innenstadt ruhig ist, „sterben in den Elendsvierteln noch jeden Tag Menschen“. Ein ehemaliger Projekthelfer der Universität Trier wurde im Slum Kibera Opfer einer Messerattacke. Ein Freund muss jeden Tag Schutzgeld für einen sicheren Heimweg bezahlen.
Alex Kanyi meint, das in Zukunft noch weit mehr Menschen auf Hilfe angewiesen sein werden: „ Die, Kellner, Taxifahrer, Souvenirverkäufer zittern um ihre Jobs, da die Touristen ausbleiben. Sie werden zuerst die Rechnung für die Gewalt bezahlen.“
Nico Marfels vom Afrika-Verein in Hamburg berät deutsche Unternehmen bei Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent: „ Die Unternehmen warten bisher ab. Es hat schon früher Unruhen in Kenia gegeben, die auch wieder abgeflaut sind. Keine kenianische Regierung will Investoren vertreiben, und daher raten wir von Hysterie ab.“ Zur Zeit organisiert Marfels einen „Kenya business day“ in Hamburg und erwartet dazu auch Minister aus Nairobi.
Birger Meierjohann vom kenianischen Fremdenverkehrsamt in Deutschland will nichts dramatisieren: „ Keinem einzigen Touristen ist etwas zugestossen, und noch befinden sich etwa 3000 Deutsche in Kenia, die normal ihren Urlaub verbringen. Aber bei den Neubuchungen sieht es düster aus.“
Am Montag, dem 21.01 war in einer Pressemitteilung der Kenya Tourism Foundation folgendes zu lesen: „ Die Situation in Nairobi war völlig ruhig. Alle Geschäfte und Strassen waren offen und der Flughafenbetrieb normal.”
Am selben Tag erhielt Dr. Nebe eine SMS aus Nairobi von einem ehemaligen Projekthelfer : „Die Lage gerät außer Kontrolle bei uns. Luos sind aus Koyobangi verjagt worden und Kikuyus aus Kibera“. (Beide sind Slums von Nairobi)
Eine Lösung ? Der Journalist Alex Kanyi erklärt ohne eine Spur von Ironie : “ Beide Parteien wollen die absolute Macht. Die einen wollen sie erobern, und die anderen daran festhalten. Dieses ganze korrupte System müsste in einer Revolution beseitigt werden. Aber was danach käme, weiß auch niemand.


Link zum veröffentlichten Artikel auf der Seite:
http://www-alt.uni-trier.de/uni/nu-online/nu2007/index2.php?option=com_content&task=view&id=297&pop=1&page=0&Itemid=29

-Redselig-

Literatur von Andreas Armann

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