Friedrich Schilz- Eine Jugend im Dritten Reich

Friedrich Schilz

Eine Jugend im Dritten Reich


Friedrich Schilz, Jahrgang 1925, ist jemand, der Geschichte erlebt und überlebt hat, und daher voller kleiner Geschichten steckt. Außerdem trifft es sich , das er Seniorenstudent der Uni Trier ist. Augen -und Ohrenzeugen der Jahre 1933 – 45 sind auch an Universitäten nicht mehr oft zu finden, und so stellt Herr Schilz für uns später geborene eine unschätzbare Informationsquelle aus erster Hand dar. Da dazu Erzählfreudigkeit , gepaart mit einem überbordendem Reichtum an Erzählenswertem kommen, können die Autoren den zwangsläufig begrenzten Umfang dieses Artikels nur bedauern.


„Ein großer Jugendverein“

Die Hitlerjugend in Bitburg

Friedrich K. Schilz wurde 1925 in Bitburg geboren. Seine Familie stand den Nazis zwar keineswegs unkritisch gegenüber, letztendlich kam der Vater doch nicht um eine Parteimitgliedschaft herum. Als Buchhändler hatte er der Reichsschrifttumskammer beizutreten, und um akzeptiert zu werden, vorher der NSDAP. Der junge Friedrich wuchs in dieser Zeit so normal wie damals möglich auf, und gehörte der HJ bereits vor 1933 an, vor allem , weil es wichtig war, „dazu zu gehören“. Dies bezog sich nicht auf politische Gründe , sondern eher auf für den Jungen reizvolle Aktivitäten, Ausflüge, Geländespiele und Lehrgänge. Im Rückblick bezeichnet Friedrich Schilz die Bitburger HJ, deren vorletzter Scharführer er später wurde, als eine Art großen Jugendverein, bei dem man „ was erleben“ konnte. Eines besonderen Aufnahmeverfahrens bedurfte es , jedenfalls nach 1933 nicht mehr, und von politischer Indoktrination oder Bespitzelung kann er nicht berichten.
Trotzdem galt nach seiner Aussage die Maxime : „Allein kann man alles denken, zu zweit einiges sagen, zu dritt gar nichts“
Die Hitlerjugend als Kinder - und Jugendorganisation der NSDAP gliederte sich in Flieger- Motor – und Marine- HJ und trat nach 1933 an die Stelle aller anderen von den Nationalsozialisten aufgelösten Jugendverbände. Friedrich Schilz wollte den Segelflugschein machen und trat daher der Flieger - HJ bei.
Sonnabends trafen sich die Kinder und Jugendlichen in Nebenräumen des „Braunen Hauses“ in Bitburg. (Jede Stadt besaß ihr eigenes „Braunes Haus“, womit die örtlichen Parteizentralen bezeichnet wurden).
Samstags sprach oft der Führer mindestens eine Stunde durch den Volksempfänger. Dabei mussten HJ’ler anwesend sein, und nicht zu Hause helfen.
Wenn man sich dazu noch in seiner schicken Uniform in der Stadt zeigen durfte, „war man wer“. Friedrich Schilz lächelt heute milde, als er den Autoren vom Tag seiner Erstkommunion erzählt, zu der er in Uniform erschien. (Als einziger). Ob und was der junge Friedrich mit diesem Auftritt beweisen oder zeigen wollte, weiß er siebzig Jahre später nicht mehr.
Die erwünschte Außenwirkung erzielte die HJ über gemeinnützige Aktionen, etwa den Einsatz in der Landwirtschaft als Kartoffelkäfersammler oder bei Altwertstoffsammlungen.
An politischen Auseinandersetzungen , an die sich Friedrich Schilz noch in Form von aufeinander einprügelnden Nazis und Kommunisten auf offener Straße erinnert, nahm die HJ in Bitburg nicht teil.
Ein für das Dritte Reich allerdings wohl symptomatischer Konflikt wurde im Religionsunterricht mit einem jungen Kaplan ausgetragen, Schilz erinnert sich noch gut, wie
dieser „fertiggemacht“ wurde.


„Der Judenkönig von Bitburg“
Bitburg und der Holocaust



Insgesamt war Bitburg zwar nicht gerade eine Insel, aber die dörfliche Struktur milderte die politische Großwetterlage vielfach ab. Dies galt auch für die Einstellung zur jüdischen Bevölkerung, die aus etwa zehn Familien der Mittelschicht bestand. Zumeist waren sie seit Generationen im Ort ansässig und vollständig integriert. Friedrich Schilz empfand den Antisemitismus der Nazis eher als etwas von außen importiertes und erinnert sich noch gut an die Stürmer- Schlagzeile „Isidor Meyer – Der Judenkönig von Bitburg“. Der Dreizehnjährige reagierte mit Unverständnis. Isidor Meyer war ein allseits beliebter Viehhändler , der für Kinder immer ein Bonbon in der Tasche hatte. Was für ein König?
Im gleichen Jahr, 1938, wurde der junge Friedrich Augenzeuge , als „ortsfremde“ SA- Männer die Bitburger Synagoge in eine verkohlte Ruine verwandelten.
Aus den frühen vierziger Jahren ist ihm noch eine Szene präsent, als er auf der Straße einen vorbeigehenden früheren jüdischen Mitschüler ansprach. Dieser reagierte mit dem Satz : „ Sprich nicht mit mir. Du bekommst mehr Ärger als ich.“
Die „Endlösung der Judenfrage“ war 1942 auf der Wannsee- Konferenz beschlossen worden. Der Hälfte der jüdischen Bürger Bitburgs war vorher emigriert, die Wege der anderen konnte Schilz nicht mehr nachvollziehen, da 1943 , nach dem Abitur, seine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst erfolgte.



Beelzebub und der Dicke

Von Blumentöpfen und Naziprominenz



Persönliche Erinnerungen an nationalsozialistische Größen hat Friedrich Schilz auch einige. Etwa an den Besuch Hitlers in Bitburg 1940 , kurz nach dem Frankreichfeldzug. Die Straße war mit „Heil“ rufenden Menschen gesäumt als sich Friedrichs Mutter beim Herannahen der Wagenkolonne aus dem Fenster lehnte, um besser zu sehen. Dabei folgte ein durch ihren Ellenbogen von der Fensterbank gestoßener Blumenkübel der Schwerkraft und zerbarst vor der Limousine des Führers. Vier bewaffnete SS- Männer, die daraufhin das Haus stürmten, ließen sich glücklicherweise davon überzeugen, das es sich um ein Versehen gehandelt hatte, und der Vorfall blieb folgenlos.
Die Bekanntschaft des „Reichsführers HJ“ , Baldur von Schirach, hatte Schilz auf einem Gebietssportfest der Hitler- Jugend gemacht. Mit Göring verbindet er sicherlich die bedrückendste Erinnerung, als dieser den knapp zwanzigjährigen am 20.04 1945 (!) als Teil eines letzten Aufgebots gegen die Rote Armee in den Kampf um Berlin verabschiedete. Die Wertschätzung der Angehörigen des Regimes war stark unterschiedlich.
boebbels weckte durch seinen hinkenden Gang Assoziationen mit volkstümlichen Darstellungen des Teufels mit dem Klumpfuss. Göring war schlicht „ Der Dicke“, während Hitler selbst tatsächlich vielfach Verehrung genoss. Dessen Stellvertreter Hess besaß nach Schilz Erinnerung die größte Popularität nach dem „Führer“.


Kriegsdienst und was danach kam



Es gäbe noch sehr viel zu erzählen. Von Friedrich Schilz Traum, Pilot zu werden, der ihn auf die Luftkriegsschule führte. Aber der Krieg näherte sich seinem Ende, und die Rote Armee rückte auf Berlin vor. Vom sinnlosen Abwehrkampf auf den Seelower Höhen, von seiner vorübergehenden Erblindung durch eine sowjetische Granate. Von der Gefangennahme durch russische Kosaken, vom Lager bei Murmansk am Polarkreis, und den unglaublichen Ereignissen um seine vorzeitige Freilassung. Vom abenteuerlichen Weg nach Hause und......
Aber das sind andere Geschichten...

Andreas Armann / Matthias J. Berntsen.

Eine Lektüreempfehlung : “Reich- Ranicki , Marcel : “ Meine Jugend im dritten Reich“ mit Beiträgen von Heinrich Böll, Walter Jens, Ernst Jandl u a.

-Redselig-

Literatur von Andreas Armann

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